Leserbrief aus dem Haller Kreisblatt, 12.11.2015. Zur Berichterstattung über die geplante Bebauung des Geländes hinter dem Haller Berufskolleg erhielt die Redaktion folgenden Leserbrief.
„Entscheidungen nach Gutsherrenart“
Zur Berichterstattung über die geplante Bebauung des Geländes hinter dem Haller Berufskolleg erhielt die Redaktion folgenden Leserbrief:
Der Kreis Gütersloh sei ein „hervorragender Industriestandort und keine Streuobstwiese“, polemisierte Sven-Georg Adenauer vor einiger Zeit gegen den Versuch der Landesregierung, im Landesentwicklungsplan den Flächenfraß durch neue Industriegebiete, Parkplätze und Häuserblöcke in NRW aufzuhalten. Und wer die Stellungnahme der Stadt Halle zum LEP gelesen hat, weiß, wohin auch in Halle die Reise in Zukunft gehen soll: in Richtung eines Gemeinwesens, das seinen Sinn nicht aus Nachhaltigkeitserwägungen, sondern aus Ökonomischen Bilanzen bezieht.
Angesichts dieses »Erfolgsmodells« ist der Stadt die Zerstörung von Wiesen, Wald und Feldern schnuppe. Dabei haben Volksvertreter und Verwaltung diese »Wert«-Vorstellungen und die dazu gehörige Markt-Rhetorik inzwischen so weit verinnerlicht, dass sie gar keine Hilfestellung von Wirtschaftslobbyisten mehr brauchen, denn „irgendwo müssen die Euros schließlich verdient werden, mit denen man Ökologisch Gutes tun kann“, wie Fachbereichsleiter Keil ebenfalls in Stammtischmanier zum Besten gab.
»Halle zum Wohlfühlen« ist schon lange eine leere Beschwörungsformel vor der Kulisse von Autobahndrehkreuzen, Lärmschutzwällen, Containerlandschaften und Stromtrassen. Da ist es nur folgerichtig, wenn man den Einwohnern auch innerstädtisch das Gefühl gibt: My Home is my Castle, da muss ja nicht auch noch ein Garten, geschweige denn ein Park dazugehören. Sollen das doch andere Kommunen machen, am besten die ärmeren, wie im Osten.
Und so wird der eingeschlagene Weg zur unhinterfragbaren Agenda, in der die Beteiligung von engagierten Bürgern, die sich um ihren Lebensraum sorgen und konstruktiv an einem nachhaltigen Stadtentwicklungskonzept mitarbeiten möchten, nur lästig sein kann. »Eine für Halle« heißt eben nicht mehr eine für »alle«, sondern für manche, für einen Hofstaat, der sich berufen fühlt, Entscheidungen nach Gutsherrenart zu treffen, mit verdeckten Karten spielt und Bürgeranfragen und ‑anträge mit müdem Lächeln oder auch höhnischem Zungenschlag zurückweist oder einfach ignoriert, wie dies im Fall der Stadtparkinitiative nachhaltig der Fall war und ist.
Und das ist vielleicht noch schlimmer als die Zubetonierung unserer Stadt: Die Arroganz der Macht, der Substanzverlust von Demokratie und politischer Kommunikation, wie wir ihn auch auf höheren politischen Ebenen kennen, wo hinter verschlossenen Türen mit finanzkräftigen Lobbyisten, Medien- und Imageberatern über unsere Zukunft verhandelt wird.
Sorgen wir dafür, dass am Donnerstag der Ratssaal voll wird, zeigen wir, dass Friedhofsruhe und Friedhofsdekoration nicht unseren Vorstellungen von einer lebenswerten Stadt entsprechen.
Annette Brockhoff
Tiegstraße
Halle
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