Jetzt müs­sen alle mit anpacken“

Arti­kel aus dem Hal­ler Kreis­blatt, 7.1.2017. Inter­view: Hal­les Bür­ger­meis­te­rin Anne Roden­b­rock-Wes­sel­mann zieht Bilanz für 2016 und blickt auf das neue Jahr. Und dabei ver­sprüht sie durch­aus eine gro­ße Por­ti­on Optimismus.

Jetzt müs­sen alle mit anpacken“

Inter­view: Hal­les Bür­ger­meis­te­rin Anne Roden­b­rock-Wes­sel­mann zieht Bilanz für 2016 und blickt auf das neue Jahr. Und dabei ver­sprüht sie durch­aus eine gro­ße Por­ti­on Optimismus

Wir star­ten mit dem Blick zurück: Wel­che Erleb­nis­se — posi­tiv wie nega­tiv — haben Sie aus dem ver­gan­ge­nen fahr nach­hal­tig in Erin­ne­rung behalten?

ANNE RODENBROCK-WESSELMANN: Zu den schö­nen Ereig­nis­sen zäh­le ich sicher die Ein­wei­hung des Feu­er­wehr­ge­rä­te­hau­ses in Kün­se­beck und die damit ver­bun­de­ne Eröff­nung eines vier­ten Lösch­zu­ges — das ist heut­zu­ta­ge kei­nes­falls selbst­ver­ständ­lich. Ich bin froh, dass jetzt Klar­heit über den Start der Kita am Kün­se­be­cker Weg herrscht und auch das Fes­ti­val »Wei­te wirkt« hat mich sehr beein­druckt. Lus­tig war sicher auch mein klei­nes Ten­nis­match mit Otto Waal­kes auf dem Rat­haus­vor­platz anläss­lich der Eröff­nung der Ger­ry Weber Open.

Und die weni­ger schö­nen Momente?

R.-WESSELMANN: Dass wir uns gegen ein eige­nes Jugend­amt ent­schie­den haben, muss ich akzep­tie­ren. Aber bei der Debat­te hat mir ganz klar die Ernst­haf­tig­keit gefehlt, die Gegen­ar­gu­men­te gin­gen zu wenig in die Tie­fe. Ich hät­te erwar­tet, dass man sich erst ein­mal infor­miert, bevor man sich aktiv in eine Debat­te ein­schal­tet. Auch die Dis­kus­si­on um die Aus­wei­tung der Tem­po-30-Zone in Hal­le im Zuge des Nah­mo­bi­li­täts­kon­zep­tes wur­de höchst unsach­lich geführt. Hier hät­te ich mir gewünscht, dass man sich erst mal infor­miert, nach­denkt und abwägt und sich dann erst in die Debat­te ein­schal­tet — immer­hin wird jetzt gera­de wie­der sach­lich gear­bei­tet. Ach so, und eine Demo der »Rech­ten« wie im April brau­che ich hier auch nie wie­der! Immer­hin gab es an jenem Nach­mit­tag auch eine groß­ar­ti­ge Gegenveranstaltung.

Mit der Ver­ab­schie­dung des Haus­hal­tes ende­te das alte Jahr, aber die damit ver­bun­de­nen Beschlüs­se blei­ben das bestim­men­de The­ma für das neue: Hal­le hat ein enor­mes Defi­zit von 21,7 Mil­lio­nen Euro zu ver­kraf­ten — was heißt das für die Ent­schei­dun­gen in der nahen Zukunft?

R.-WESSELMANN: Grund­sätz­lich ist es ja so, dass wir auf den größ­ten Teil der Zah­lun­gen kei­nen Ein­fluss haben, weil es sich um Ver­pflich­tun­gen oder Umla­gen han­delt. Bei­spiel­haft sei­en hier die 30 Mil­lio­nen Euro an Kreis­um­la­ge, die sechs Mil­lio­nen Euro an Gewer­be­steu­er­rück­zah­lun­gen oder die über­haupt rück­läu­fi­gen Gewer­be­steu­er­ein­nah­men genannt. Aber das ist jetzt ein Über­gangs­jahr. Allein die Kreis­um­la­ge wird in 2018 schon nicht mehr so hoch ausfallen.

Ihre poli­ti­schen Geg­ner haben Ihnen wäh­rend der Haus­halts­plan­be­ra­tun­gen vor­ge­wor­fen, nicht aus­rei­chend Spar­vor­schlä­ge gemacht und statt­des­sen mit der Erhö­hung von Steu­ern reagiert zu haben.

R.-WESSELMANN: Die­se State­ments sind mir nur zu bekannt und eher poli­tisch moti­viert. Wir haben in unse­rem Käm­me­rer Jochen Strieck­mann einen her­vor­ra­gen­den Mann an die­ser Stel­le. Das haben übri­gens immer alle genau­so betont. Und wir prü­fen ver­wal­tungs­in­tern per­ma­nent — im letz­ten Jahr haben wir statt einer Lesung sogar drei durch­ge­führt. Dabei waren wir noch nie so gründ­lich und wol­len auch nicht leicht­fer­tig neue Töp­fe öff­nen und Ver­pflich­tun­gen ein­ge­hen. Aber im Ver­zeich­nis der frei­wil­li­gen Leis­tun­gen haben wir ein­fach nichts gefun­den, was wir noch zu strei­chen bereit gewe­sen wären. So weit sind wir ein­fach noch nicht.

Wel­che Leis­tun­gen gehö­ren konkretdazu?

R.-WESSELMANN: Da sind bei­spiels­wei­se die Biblio­thek, der Offe­ne Ganz­tag oder die Rand­stun­den­be­treu­ung. Wir haben hier hohe Bedürf­nis­se und sub­ven­tio­nie­ren die ent­spre­chen­den Ange­bo­te. Wir wol­len auch die Bei­trä­ge für die Kitas nicht erhö­hen oder auf Schul­so­zi­al­ar­beit und Flücht­lings­be­ra­tung ver­zich­ten. All die­se Ange­bo­te tra­gen zum sozia­len Frie­den bei und ich will nicht, dass wir dar­auf ver­zich­ten. Grund­sätz­lich machen gera­de die frei­wil­li­gen Leis­tun­gen das Wohl­füh­len in unse­rer Stadt aus!

Des­halb hat man sich lie­ber für eine Steu­er­erhö­hung entschieden?

R.-WESSELMANN: Ja. Und die darf man nicht ver­teu­feln, es han­delt sich dabei auch kei­nes­falls um rot-grü­ne Arro­ganz. Seit 2004 wur­den in Hal­le die Steu­ern, die ohne­hin unter dem fik­ti­ven Hebe­satz lie­gen, nicht mehr erhöht, und wir haben in die­ser Form also über vie­le Jah­re bereits akti­ve Wirt­schafts­för­de­rung betrie­ben. Jetzt sind die Zei­ten ande­re und es müs­sen alle mit anpacken.

Gibt es schon eine Pro­gno­se, wie das Steu­er­auf­kom­men der Hal­ler Unter­neh­men in 2017 aus­fal­len könnte?

R.-WESSELMANN: Unser Käm­me­rer hat da sei­ne Dräh­te und pflegt die Ver­bin­dun­gen. Aber man muss auch Ver­trau­en haben und die inter­na­tio­nal agie­ren­den Kon­zer­ne sind da ohne­hin Bewe­gun­gen aus­ge­setzt, auf die man kei­nen Ein­fluss hat.

Eine Kon­se­quenz für mehr Steu­er­ein­nah­men ist also das Streu­en in die Brei­te? Wei­te­re Ansied­lun­gen von Gewer­be im Raven­na­Park sowie die Aus­wei­sung wei­te­rer Gewerbeflächen?

R.-WESSELMANN: Genau, denn wir leben hier schließ­lich von unse­rer Gewer­be­po­li­tik. Da sind zum einen die wei­te­ren Ansied­lun­gen im Raven­na-Park — dar­über haben Sie die­se Woche ja bereits berich­tet. Bekannt­lich geht es aber auch an der Werk­stra­ße voran.

Und dann gibt es die durch­aus kon­tro­vers dis­ku­tier­te Aus­wei­sung von 44 Hekt­ar neu­er Gewer­be­flä­chen ent­lang der A33-Trasse …

R.-WESSELMANN: Nein, so darf man das noch nicht sagen. Viel­mehr ist es doch so, dass die Kom­mu­nen in NRW auf­ge­ru­fen waren, grö­ße­re, zusam­men­hän­gen­de Flä­chen zu mel­den, auf denen sie sich in den nächs­ten 20 Jah­ren Ansied­lung von Gewer­be vor­stel­len kön­nen. Nicht mehr haben wir getan, denn andern­falls hät­ten wir unse­ren nach­fol­gen­den Genera­tio­nen jede Opti­on ver­baut! Aber das Ver­fah­ren steht noch ganz am Anfang, als Nächs­tes muss der Kreis ja alle gemel­de­ten Flä­chen zusam­men­zie­hen und bewer­ten. Danach ist der Regio­nal­rat gefor­dert, dann noch das Land. Vor 2025 pas­siert an die­ser Stel­le ohne­hin nichts, das haben wir so fest­ge­legt. Und danach kann man in Hal­le immer noch sagen: Wir wol­len nicht!

Trotz­dem haben Sie die Opti­on gezo­gen und das Ange­bot eines Anlie­gers ange­nom­men, fünf Hekt­ar Land zu kaufen.

R.-WESSELMANN: Ja. Aber das Kauf­an­ge­bot bestand schon viel län­ger und ich habe es als Ver­trau­en in die Stadt ange­se­hen, dass wir die­ses Ange­bot über­haupt erhal­ten haben. Was wir eines Tages damit machen, ist über­haupt noch nicht entschieden.

Und wenn wir den Blick­win­kel von außen nach innen rich­ten: Was wol­len Sie in der Innen­stadt entwickeln?

R.-WESSELMANN: Gar kei­ne Fra­ge: die rech­te »Herz«-Hälfte! Also die Flä­che zwi­schen Rosen­stra­ße und Mar­tin-Luther-Stra­ße. Die­ser Bereich muss bald geord­net und mit Leben gefüllt wer­den. Das­sel­be gilt für die B68 zwi­schen Hal­le und Kün­se­beck, aber hier haben wir mit dem Kauf diver­ser Immo­bi­li­en ja Vor­sor­ge getrof­fen. Froh sind wir über die geneh­mig­te Wohn­bau­ent­wick­lung am Gart­nisch­kamp und die Opti­on, mit­tel­fris­tig auf dem Sport­platz Masch Wohn­häu­ser anzu­sie­deln: Aktu­ell haben wir allein 250 Anfra­gen für Grund­stü­cke und noch mehr Wün­sche nach Woh­nun­gen vor­lie­gen. Die kön­nen wir gar nicht alle erfüllen.

Ent­span­nung hates dafür aber im Bereich der Unter­brin­gung von Flücht­lin­gen gegeben.

R.-WESSELMANN: Das stimmt und nicht nur das. Die ers­te Pha­se, in der es vor­nehm­lich um die Bewäl­ti­gung der logis­ti­schen Auf­ga­ben ging, ist geschafft. Wir haben Wohn­an­la­gen für Flücht­lin­ge errich­tet und im Rat­haus II eine pro­fes­sio­nel­le Anlauf­stel­le mit einer tat­kräf­ti­gen Mann­schaft, die struk­tu­riert arbei­tet. Weil wir jetzt vor­wie­gend mit Men­schen zu tun haben, die auch wirk­lich blei­ben, kön­nen wir mit der eigent­li­chen Inte­gra­ti­on begin­nen. Das funk­tio­niert sehr gut.

Das heißt, Sie schau­en alles in allem posi­tiv aufs neue Jahr?

R.-WESSELMANN: Ja, das mache ich. Pes­si­mis­mus ist nicht ange­sagt, statt­des­sen müs­sen wir lie­ber kon­struk­tiv zusammenarbeiten.

Das Gespräch führ­te Nico­le Donath

 

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Hält an frei­wil­li­gen leis­tun­gen fest: Bür­ger­meis­te­rin Anne Roden­b­rock-Wes­sel­mann nimmt dafür auch Steu­er­erhö­hun­gen in Kauf. Grund­sätz­lich hält sie 2017 dabei eher für ein Über­gangs­jahr. Foto: Nico­le Donath

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Rech­te »Herz«-Hälfte: Für den Bereich zwi­schen Rosen­stra­ße und Mar­tin-Luther-Stra­ße drängt die Bür­ger­meis­te­rin auf eine bal­di­ge städ­te­bau­li­che Ord­nung. Foto: Nico­le Donath

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Kin­der­be­treu­ung: Die Stadt Hal­le steht hin­ter dem Offe­nen Ganz­tag oder der Rand­stun­den­be­treu­ung. Foto: Tasia Klusmeyer

 

Kom­men­tar der Stadt­par­kin­itia­ti­ve: Sie­he mar­kier­te Text­stel­len.

Laut dem Inter­view der Bür­ger­meis­te­rin, 7.1.2017, sol­len „kei­ne neu­en Töp­fe“ auf­ge­macht wer­den. Gleich­wohl kauft die Stadt ein 5 ha gro­ßes Grund­stück für einen »hohen sechs­stel­li­gen« Betrag und hat laut Bür­ger­meis­te­rin kei­nen Schim­mer, was damit pas­sie­ren soll.